Dienstag, 22. April 2014

Unser Leben mit einem autistischen Kind - Teil 2

So, ich beginne heute direkt da wo ich gestern aufhörte.
Ich bedanke mich hier auch nochmal über das unglaubliche Feedback.
Damit hätte ich im Leben nicht gerechnet! Ein ganz ganz großes DANKE!!!
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Da saß ich nun also bei unserem Kinderarzt und zunächst fiel mir ein großer Stein vom Herzen, dass mein Anliegen scheinbar ernst genommen wurde.

Es fiel der Satz: "Wir müssen unbedingt schauen, dass Sie eine erträglichere Familiensituation bekommen."

Unser Arzt verwies uns an die Frühförderstelle der Stadt und erzählte dann auch, dass wenn die Frühförderung nicht weiter kommt mit uns, wir zur Vorstellung ins Kinderzentrum Pelzerhaken (ein SPZ) fahren sollten.

Aber erstmal eins nach dem anderen.

Am nächsten Tag brachte ich meinen Sohn dann in seine Kita und zufälligerweise lief mir die Kindergartenleitung geradewegs vor die Nase.
Ich fragte, ob sie kurz eine Minute Zeit hätte und berichtete dann von den Geschehnissen des gestrigen Tages.
Ich erwähnte nebenbei dann auch die Frühförderung und ob sie wisse wie ich Kontakt dazu aufnehmen könnte.
Die Leiterin war plötzlich sehr erstaunt und sagte dann welch RIESEN Zufall, dass ich sie darauf angesprochen habe.
Sie erzählte mir dann weiter, dass sie wohl noch in diesem Monat das Gespräch mit mir gesucht hätte.
Die Defizite von Levi sind im Kita-Alltag nicht unbemerkt geblieben. Gerade der sprachliche Bereich sei stark auffällig.

Ich erkläre kurz die damalige Sprach-Situation:
Levi fing generell mit den ersten richtigen Worten sehr sehr spät an.
Sehr auffällig war, dass er (einfache) Wörter, die er mit der Zeit erlernte plötzlich wieder verlernte.
Er hatte eine komplett eigene Sprache entwickelt - Außenstehende verstanden von ihm kein einziges Wort.
Mir sind ein paar Vokabeln noch sehr pregnant in Erinnerung:

Schmetterling = Kia
Gurke = Bupa
Elefant = Ija-alla

Ich weiß nicht wie oft ich schon (ernsthaft) gefragt wurde warum der Junge zweisprachig aufwächst.

Zurück zum Gespräch mit der Kindergartenleitung.
Sie sprach für uns auf jeden Fall die eindeutige Empfehlung aus, dass wir die Frühförderung beantragen sollten.

Ich meine mich daran erinnern zu können, dass sie mir ein Formular gab, welches ich dann ausfüllte.
Dann passierte erstmal ein paar Wochen lang nichts.


In dieser Zeit gab es weitere Eskapaden. Es war der blanke Horror.
Es entwickelte sich zu dieser Zeit sein absolutes Spezialinteresse, welches er bis heute beibehielt.
BAHNÜBERGÄNGE.

Bahnübergänge bestimmten seinen kompletten Alltag - es beschäftigte ihn nichts anderes mehr.
Auf dem nach Hause Weg vom Kindergarten MUSSTE ich sämtliche Bahnübergänge abfahren, sonst gab es wieder Wutanfälle bis zum Erbrechen und Nachts schrie er wie am Spieß weil ihm da wieder eingefallen ist, dass wir nicht über den Bahnübergang gefahren sind.
Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als einfach jeden Tag über seine Bahnübergänge zu fahren. Dann war alles gut.

Um ihn tagsüber auf andere Gedanken zu bringen, schenkte ich ihm irgendwann mal Stifte.
Aber er malte nur kurz damit.
Er begann dann plötzlich die Stifte in bestimmten Gebilden zu legen.
Ich dachte mir erst nichts dabei.
Aber es ging ab da jeden Tag. Stundenlang. Monatelang.

Zunächst waren es einfache Gebilde, die er immer wieder im gleichen bzw. ähnlichen Muster legte.








er machte mir dann irgendwann begreiflich das es seine geliebten Schiebetüren sind, die er nachbaut und vor allem auch BAHNÜBERGÄNGE.
Er setze sich dann stundenlang vor seine Stifte und schob sie einfach nur auf und zu.
Er ging völlig darin auf und verlor sich in seiner Welt.
Ich hätte nebenbei eine Bombe hochjagen können, er hätte wohl nichts bemerkt.

ich machte mir Sorgen... Mein Sohn entfernte sich von mir. Immer mehr.

Wie oft fragte ich mich "Bin ich dir eine gute Mutter? Liebst du mich so wie ich dich liebe?
Ich zweifelte. Es tat unheimlich weh.
Levi wollte nichts von mir wissen (zu dem Zeitpunkt erschien es mir tatsächlich so)
Er wollte nicht am Familienleben teilnehmen, Ausflüge waren immer der absolute Horror für alle Beteiligten. Ich beneidete Mütter, die mit ihren Kindern stundenlang draußen waren. Im Urlaub waren. Im Schwimmbad waren. 
Wir konnten dieses alles nicht. Überall lauerten Ecken und Kanten die ihn sofort wieder ausflippen ließen.

Schlimm war auch, dass er ein unheimlich großes Weglaufpotential hatte.
Er blieb draußen NIE in unserer Nähe, sondern lief einfach sofort planlos drauf los. Einfach immer weiter gerade aus. Wir waren nur damit beschäftigt ihn am Weglaufen zu hindern.
Um uns herum die tollsten Spielplätze, Zoos, Strände.
Es schien ihn nichts davon zu interessieren.
Es wirkte so, als würde er keine räumlichen Grenzen wahrnehmen können.

Eines Winters versuchten wir es mit einem Strandspaziergang.
Ich weiß es noch ganz genau: Er dauerte exakt 10 Minuten.

Er lief uns wieder davon - einfach ins Meer hinein.
Mitten im Dezember. Und ging unbeirrt von der Kälte einfach weiter. Er weinte nicht. Sein Blick ging ins Leere und er ging einfach immer weiter.

Wir holten ihn natürlich sofort heraus!
Es folgte wieder ein Wutanfall, weil er wieder ins Wasser zurück wollte.

DAS war der Moment wo mir immer bewusster wurde "es ist irgendwas mit ihm".

Meine Gedanken kreisten, aber ich kam auf kein wirkliches Ergebnis.

Es folgte die nächste Situation, für mich der Blanke Horror und ich muss heute noch sehr oft daran denken.

Eines morgens gegen 5 lag ich im Halbschlaf in meinem Bett. 
Die Nacht war wieder sehr schlimm und ich habe dann auch nicht mehr wirklich in den Schlaf finden können. Ein Glück wie sich herausstellte.

Ich hörte plötzlich unten aus dem Treppenhaus das Schlagen unserer Haustür.

Geistesgegenwärtig sprang ich auf und lief und lief und lief.

Levi hatte es tatsächlich geschafft im Schlafsack aus seinem Gitterbett zu kommen. Ihr müsst euch vorstellen, dass wir in unserer Wohnung eine Galerie haben mit Treppe runter zur Haustür.
Die Treppe ist durch ein Schutzgitter abgesichert.
Er schaffte es also auch dort herüberzuklettern, die Tür aufzuschließen und herauszurennen. ( auch hier war er ungefähr 2 Jahre alt)

Ich lief im Nachthemd auf die Straße. es war stockdunkel.
Ich schrie nur noch "Mein Baby!!! mein Baby!!!"

Ich lief und lief und holte ihn dann glücklicherweise ein. Er lief nur im Body bekleidet durch den hohen Schnee.
Ich zog ihn an mich. Ich weinte, ich lachte, ich schrie.

Mir gingen sofort die Bilder durch den Kopf was nur passiert wäre wenn ich das Schlagen der Haustüre nicht gehört hätte. Nicht auszudenken!!!
Von diesem Schock habe ich mich bis heute nicht wirklich erholt und ist bestimmt auch der Grund warum ich meinem Sohn in den nächsten Jahren gerne mal "hinterher-helicoptert" bin.
Wir tauschten sofort die Türgriffe aus (wir bauten einen großen, dicken Knauf ein, den er sogar heute noch nicht aufbekommt)

Es vergingen dann noch ein paar Wochen bis wir etwas von der Frühförderung hörten.
So einfach wie ich es mir vorgestellt hatte, war es leider nicht.

Ich bekam eine Einladung zu einem Amtsarzttermin.
Das wird wohl gemacht, damit ein Gutachten erstellt werden kann, dass der Förderbedarf auch wirklich vorliegt und die Kosten dafür übernommen werden.

In dem Schreiben vom Kreis bekamen wir noch andere Auflagen:
- eine Vorstellung in einem SPZ.
 - einen Hörtest.

Der Termin bei der Amtsärztin war einigermaßen erträglich.
Sie brauchte erstmal ein paar Eckdaten wie Größe und Gewicht und dann wurden Levi ein paar Aufgaben gestellt - ähnlich wie in einer U-Untersuchung beim Kinderarzt.
Wir unterhielten uns dann über die generelle Situation und zum Schluss meinte sie, dass wir dann in ein paar Wochen ein Schreiben bekommen würden, ob die Frühförderung nun genehmigt wird oder nicht.

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Morgen gehts weiter! :-)  


Liebe Grüße 

- Katharina - 

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