Donnerstag, 24. April 2014

Unser Leben mit einem autistischen Kind - Teil 3

gestern habe ich an der Stelle aufgehört an der wir gesagt bekamen, dass wir auf den Bescheid vom Amtsarzt warten sollten.

Es vergingen wieder ein paar Wochen, es kam dann ein Schreiben vom Sozialamt, das uns der Amtsarzt sein "Go" gegeben hat.

Ich leitete die Nachricht umgehend an unseren Kindergarten weiter (es ist übrigens ein Integrationskindergarten mit verschiedenen Einrichtungen)
Wir bekamen die Tage einen Anruf und verabredeten uns mit einer Frühförderkraft.
Die Frühförderung sollte 1x pro Woche bei uns zu Hause stattfinden und ich kann jetzt schon erzählen, dass die Frau ein absoluter Engel war.
Sie hat uns die Zeit über wahnsinnig unterstützt, ein unglaublich toller Mensch.

Zu dem Zeitpunkt war ich übrigens schon mit meiner Tochter schwanger (so ungefähr in der 12. Woche).

Viele können sich ersteinmal nicht viel unter Frühförderung vorstellen.
Es geht im Grunde genommen darum, dass dem Kind auf spielerische Art und Weise Möglichkeiten aufgezeigt werden um mit dem Alltag besser zu recht zu kommen.
Bei Levi lag der Ansatz erstmal daran, dass er lernen solle sich auf eine Sache die er sich ausgesucht hat länger zu konzentrieren.

Ihr glaubt ja gar nicht was in der Zeit so aus unserem Wohnzimmer gebaut wurde...leider habe ich davon keine Fotos :-)
Es war quasi ein Abenteuer für sich. Hier wurden riiiesengroße Höhlen gebaut, es wurden schwere Sandsäcke durch Krabbeltunnel geschleppt, wir haben hier Erbsen-Wannen aufgebaut - und ich glaube ich finde bis heute noch überall Erbsen in jeglichen Ecken ;-)
Wir haben riesengroße Murmelbahnen über das komplette Wohnzimmer gebaut - es war absolut fantastisch.

Die Pädagogin lag uns eines Tages nahe, dass wir für Levi einen Integrationsplatz beantragen sollten.
Ich war schockiert. Für mich war das damals etwas völlig schlimmes. Ich hatte Angst, dass er in der Schule dadurch einen Stempel aufgedrückt bekommt (zu dem Zeitpunkt ging ich noch davon aus, dass er einfach etwas entwicklungsverzögert sei) und lehnte dieses erstmal partout ab.

Ich erwähnte ja bereits im letzten Teil, dass wir noch die Auflage bekamen Levi in einem SPZ vorzustellen. Von jeglichen Stellen bekamen wir dann das Kinderzentrum in Pelzerhaken empfohlen.

Ich rief dort an, dann bekamen wir einen Fragebogen zugeschickt, den ich dann ausfüllte.
Es dauerte dann UNGLAUBLICH lange bis wir überhaupt einen Termin bekamen - insgesamt 8 Monate! (es ist wohl bei SPZ's eine normale Wartezeit wie ich bisher erfuhr)
Und dieser Termin war ersteinmal "nur" bei einem normalen Kinderarzt dort.

Mir graute vor diesem Termin.
So etwas war immer mit Wartezeit verbunden und Wartezeit war mit meinem Sohn die HÖLLE. Ihr müsst euch vorstellen, dass die Zimmer in denen ich mit Levi länger wie 10 Minuten warten mussten hinterher quasi grund-saniert werden mussten. Er zerlegte alles. wirklich alles. Er schmiss alles wahllos durch die Gegend, kletterte an Fenstern hoch, warf Stühle um und er hat sich von NICHTS rein GAR NICHTS davon aufhalten lassen.
So war es dann natürlich auch in Pelzerhaken.

Wir wurden dann von dem Kinderarzt ins Behandlungszimmer geholt - dort ging seine Verwütungsarie weiter. Er riss sämtliche Aktenordner aus den Schränken, schmiss alle Stifte auf den Boden.
Der Arzt sprach mit uns über die bestehende Problematik - gerade über die Schlafstörungen und fragte uns in der Sache bis aufs kleinste Detail aus. Sogar aus welchem Material die Bettwäsche ist.

Der Termin dauerte ca. 1,5 Stunden und man empfahl uns es mal für 2 Wochen mit dem Medikament "Melatonin" (Dosierung 2mg) zu probieren.

Melatonin? ??? Ich soll meinem Kind Medikamente geben???
Das hatte für mich einen unglaublich bitteren Beigeschmack.
Ich hatte ein schlechtes Gefühl dabei- als ob ich mein Kind ruhig stellen möchte.

Kurze Info: Melatonin ist ein körpereigenes Schlafhormon. Es gibt wohl durchaus Menschen bei denen die Produktion zu gering ist und deswegen zu wenig schlafen.

Ich legte das Medikament ersteinmal bei Seite.
Bis die nächste schlimme Schlafphase kam. Ich konnte einfach nicht mehr - und griff dann nur noch zu allen Strohhälmen die ich greifen konnte und gab meinem Sohn dann zum Abend die Tablette. Zumindest versuchte ich es.
Es scheiterte daran, dass ich sie nicht in ihn hinein bekam. Es ist bis heute so, dass er - gerade abends- nur flüssige Nahrung akzeptiert und da die Tablette im Ganzen  geschluckt werden musste war es nahezu unmöglich.
Daher kann ich leider keine wirklichen Erfahrungen mit euch teilen.

Achso - fast vergessen: Der Arzt aus Pelzerhaken hielt einen Termin beim Psychologen für sehr ratsam und im Kinderzentrum wurde dann auch alles weitere in die Wege geleitet.

Ein paar Wochen später war dann der so unglaublich wichtige Tag für uns - das war genau vor einem Jahr bei einer ganz tollen Psychologin.

Wir wurden von unserer Frühförderung begleitet, das fand ich sehr lieb.
Es gab ersteinmal ein sehr sehr langes Vorgespräch.
Ich muss sagen - es sprudelte dabei einfach nur so aus mir heraus.
Ich hatte endlich das Gefühl mir sitzt jemand gegenüber der mich komplett versteht.
In dem Gespräch fiel dann auch zum aller allerersten mal der Begriff "Autismus".
Sie fragte mich explizit ob ich darüber schon einmal nachgedacht habe, weil alles das was ich schildere schon sehr danach klingen würde.

Nach dem Gespräch sollte ich Levi mit der Psychologin alleine lassen.

Es wurde ein nonverbaler IQ-Test durchgeführt - allerdings an 2 verschiedenen Tagen um ihn nicht zu überfordern.
Ein nonverbaler IQ - Test bedeutet, einen Intelligenztest ohne Sprache.

Die Psychologin wollte dadurch schauen, ob unsere Problematik durch eine geistige Behinderung hervorgerufen werden.
Davon spricht man ab einem IQ von unter 70.

Die 2 Tage vergingen, der IQ Test schloss eine geistige Behinderung komplett aus, ich war natürlich erleichtert.

Es wurde mir allerdings gesagt, das mein Sohn wirklich sehr auffällig sei und sie möchte ihn umgehend in die Autismusdiagnostik "schicken".

Das war dann gleich 2 Tage später.
Mein Sohn war zu der Diagnostik wieder mit ihr alleine.
Es wurde mir aber erzählt, was gemacht wurde: Sie hat mit ihm ein Rollenspiel gespielt - mit kleinen Puppen an einem Tisch (es wurden noch viele andere Sachen gemacht)
Insgesamt wurde er 1,5 Stunden getestet.

Die Tür öffnete sich und mein Sohn hüpfte mir freudestrahlend entgegen.
Ich versuchte natürlich sofort alles was ging der Psychologin zu entlocken.
Sie war sehr gefasst und fragte mich gleich ob ich bitte nächste Woche mit meinem Mann zusammen zu einem Elterngespräch erscheinen könnte.

Mir war schon klar, das irgendwas war.
Ich fragte sie..."war irgendwas auffällig?"
Sie: "Ja."
dann sagte sie noch, dass wir uns sicher sein können, dass Pelzerhaken NIEMALS eine Diagnose aussprechen wird, bevor sie sich nicht zu 100% sicher wären. Und mehr bekam ich dann auch nicht wirklich zu erfahren.

Wir bekamen noch einen Fragebogen für zu Hause mit, den wir beantworten sollten.

In der kommenden Woche zu dem Elterngespräch war ich wahnsinnig nervös.
Ich wusste nicht was ich denken sollte, Andreas gings genau so.

Wir wurden wieder sehr freundlich von der Psychologin empfangen.
Sie verstand es in der Situation genau die passenden Worte zu finden. Sehr direkt aber dennoch einfühlsam und angemessen.

Wahrscheinlich kommt es hier in meiner Erzählung ein wenig stumpf rüber - aber sie eröffnete das Gespräch mit dem Satz: " Ich kann Ihnen sagen, dass Levi ganz eindeutig ein autistisches Kind ist"

Ich habe diesen Satz noch so unglaublich pregnant im Kopf. ich erinnere mich an alles - wie sie mich dabei anschaute, ihre Tonlage.
Es schien, als würde die Welt für diesen Moment stehenbleiben.

Und dennoch merkte ich plötzlich wie eine unglaublich schwere Mauer langsam anfing zu bröckeln und von mir abzufallen.
Dieser Satz war DIE Befreiung. Es klingt unglaublich - aber ich hätte in dem Moment anfangen können vor Freude an zu heulen.

Denn ich WUSSTE einfach, dass mein kleiner Levi nie - niemals ein anderer werden würde, nur weil er eine Diagnose hat. Denn ich liebe ihn genau so wie er ist mit allen Ecken und Kanten.
Aber ich hatte Antworten!
Antworten warum mein Kind um 3 Uhr nachts schreiend am Bett steht weil sein gelber Stift fehlte.
Ich wusste WARUM er alles wie wild sortiert (mittlerweile hatte das Legen mit seinen Stiften unglaubliche Ausmaße angenommen)
Und ich wusste warum er so penetrant darauf bestand jegliche Reihenfolgen überall einzuhalten.






Ich begann sofort an umzudenken. Mir wurde alles so glasklar - es fiel mir wie Schuppen von den Augen.
Es war einfach so unglaublich eindeutig!

Das restliche Gespräch mit der Psychologin verlief eigentlich sehr positiv.
Levi ist ein sehr fröhliches, offenes Kind mit sehr viel Potential meine sie.
Darauf können wir aufbauen!


Im nächsten und letzten Teil werde ich euch erzählen inwieweit die Diagnose unser Leben verändert hat, was sich seitdem verändert hat und wie ich dem ganzen gegenüber eingestellt bin - auf diesen Teil freue ich mich am meisten! ;-)

Morgen sind wir übrigens wieder in Pelzerhaken zur Kontrolle :-)

Ich danke euch fürs Lesen, über Kommentare freue ich mich!

Viele liebe Grüße

Katharina

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